Einundzwanzig Monate befinden wir uns nun mehr oder weniger in der Pandemie. Mit all ihren Auswirkungen auf Leben, Gesundheit, Vertrauen, Miteinander, Verständnis und Toleranz. Hier entsteht der Versuch eine Antwort auf die damit verbundene eigene Frage zu bekommen. Die Frage die mich am meisten inzwischen als dreifach Geimpfter und damit für einige Menschen als „Einer-von-denen“ beschäftigt: Wie soll ich selbst mit den Menschen umgehen die anders denken und handeln?
Es geht in dieser Frage weniger um mich persönlich, sondern um meine Verantwortung die ich in meinem Amt trage und die daraus resultierende Macht welche mir durch das Amt verliehen wird. Es ist unbestritten, dass ich diese Macht ausschließlich zum Guten für die Bürgerinnen und Bürger einsetzen möchte. Doch schon hier wartetet die erste Herausforderung. Was wollen die Menschen? Was ist dieses „Gute“? Natürlich führe ich Gespräche, bekomme erbetene und unerbetene Rückmeldungen und kenne die Aufgaben die uns als Kommune obliegen. Doch sind wir mal ehrlich. Wen freut es wenn die Kläranlage saniert ist oder wenn durch die Blitzer ein Packerlfahrer mit zu hoher Geschwindigkeit erwischt wurde? Oder für wen ist es wichtig, dass die Ortsteilwehr eine neue Löscheinrichtung bekommen hat? Es interessiert diejenigen die damit unmittelbar zu tun haben. Den Anwohner an der Raserstelle, den Feuerwehrmann und das Wasserwirtschaftsamt. In der allgemeinen Öffentlichkeit wirken jedoch vor allem die Dinge die wir zu den sogenannten freiwilligen Aufgaben zählen. Der Breitbandausbau, die Baugebietsentwicklung, das Fest das im Sommer gefeiert wird, oder eben im Winter aufgrund der Infektionslage abgesagt werden muss.
Zu diesen Fragen drängt sich mit wachsender Lautstärke die Frage der Pandemieentwicklung auf. Die Lage hat sich organisiert. Das ist auf der einen Seite gut, denn es hilft sich zu orientieren. Was ist richtig und was ist falsch?
Doch wollen wir im Zweifel zu denen gehören die falsch liegen? Nein, sicherlich nicht. Wir wollen bei den guten sein! Denen die die Dinge richtig machen. Eine gewisse Zeit lässt sich der Spannungsbogen zwischen eigenem Glauben und Selbstverständnis und äußeren dem entgegen laufenden Anforderungen aushalten. Doch irgendwann wird es unerklärbar und ich muss mich entscheiden. Bleibe ich meiner Auffassung treu, auch wenn sie von einer Mehrheit nicht geteilt wird? Oder lasse ich mich überzeugen? Aber wenn ja, wovon? Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass man einen inneren Widerstand aufbaut. Der sich Anfangs in der Suche nach „doch recht haben“ und später in Betonung des Trennenden artikuliert. Wie in einer leidenden Ehe entsteht ein Spalt wenn die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis – oder zumindest die Bereitschaft dazu – fehlt. Später entsteht ein unüberwindbarer Graben und dann einen Schlucht ohne Chance auf ein zurück. Es geht um „die da“. Es geht um „Verantwortung und Schuld“. Es geht um eine Schwäche derer und eine notwendige Stärke „von uns“. Allein das „Wording“ unserer Zeit zeigt die Spaltung die von beiden Seiten betrieben wird. Die wichtigste Voraussetzung für die Bereitschaft zum Krieg ist die Zurechnung zu einer Gruppe, die sich durch ihre Definition von DER ANDEREN GRUPPE abgrenzt.
Wie schon angedeutet kann ich mit dieser Spannung einigermaßen gut leben und schaffe es bisher die Menschen die eine andere Meinung haben und sich eben „nicht impfen lassen“ (Gruppenbildung) zu akzeptieren. Bisher!
Was hat sich verändert?
- Ich führe eine Diskussion mit meinen Kindern (10 und 12) um die Frage ob sie sich impfen lassen sollen. Ein Kind macht es und liegt drei Tage krank im Bett. Ich höre den befreundeten Arzt der dagegen ist und nur aufgrund der drohenden Freiheitseinschränkungen seine eigenen Kinder doch mit schlechtem Gewissen impfen lässt. Dem gegenüber sehe ich Menschen in meinem persönlichen Umfeld die sich nicht impfen lassen wollen und damit zumindest gefühlt den Druck auf die Kinder erhöhen, da das staatliche Impfziel nicht erreicht wird. Denn nun werden auch die Rechte der Kinder eingeschränkt und damit der indirekte Impfdruck gegen sie geschaffen. Dabei liegen keine Kinder auf den Intensivstation und spielt Long-CoviD für die jüngsten nur eine verschwindend geringe Rolle. Sagt man …
- Ich lasse mich ein drittes Mal impfen und komme mit dem Arzt ins Gespräch. Sein gesamtes Praxisteam ist am Rande der Kräfte. Und zwar nicht nur wegen der bald unmenschlichen Belastung aus sich ständig ändernden Vorgaben, Aufgaben und der einfach durchschlagende Infektionslage. All das sind Dinge die man im Beruf kennt und die man aushalten kann, wenn man weiß wofür. Doch was tatsächlich belastet ist die Verrohung, die seit der Pandemie mit den Menschen passiert. Es wäre schon ausreichend, wenn einfachste Umgangsformen vorhanden blieben. Es wäre ausreichend wenn etwas Respekt vor den Menschen die sich unsere Gesunderhaltung sorgen bliebe. Es wäre genug, wenn erkannt und anerkannt würde, dass niemand Verantwortung trägt und alle tun was sie können. Doch statt dessen werden Gespräche laut und anklagend. Werden Erwartungen artikuliert. Kennt jeder seine Rechte und Ansprüche und niemand mehr seine Verantwortung und seine Pflicht. Es fehlen Toleranz und Konsensbereitschaft. Oder mit einem sehr alten Wort: es fehlt Demut.
- Wenn Verantwortung und Pflicht missachtet wird geht es vor Gericht. Im letzten Winter haben Mitarbeiter beim Winterdienst Äste einer auf den Gehweg hängenden Hecke abgeschnitten. Nun ging es vor Gericht, da die Gemeinde auf Schadensersatz verklagt wurde. Wie immer eine Stellvertreterklage. Das Problem liegt irgendwo anders. Denn der Kläger konnte auf die Frage des Richters was er wolle nur antworten: „Das alles wieder in Ordnung kommt!“ Auf die Nachfrage was er damit meine war die Antwort: „Na das alles eben wieder in Ordnung kommt!“ Selbst der Anwalt der gegnerischen Partei entschuldigte sich nach der Verhandlung leise, dass er diesen Fall verhandeln müsse. Er könne nicht anders.
Wir kennen unsere Rechte und unsere Ansprüche. Doch verlieren wir immer weiter die daraus resultierenden Pflichten, die in einem Gemeinwohl automatisch damit verbunden sind. Niemand kennt mehr die Frage: Was kann ich für mein Land tun? Sondern nur noch die Frage: Was steht mir zu?
Kommen wir wieder zur Ausgangsfrage: Krieg oder Frieden? Was will ich? Ich hätte die Macht des Ordnungswidrigkeitsrecht. Eine Macht die der Bürgermeister meist schont. Denn das tut da weh wo es am meisten weh tut. Im Portemonnaie! Und schließlich will er ja wiedergewählt werden. Ich bin doch im Recht! Sollen die mal sehen wie es auch gehen kann! Jetzt zeige ich denen mal was sie alles falsch machen und das wir von der öffentlichen Hand auch andere Saiten aufziehen können!
Nein. Eben nicht.
Haß erregt Hader; aber Liebe deckt zu alle Übertretungen. (Sprüche 10:12)
Ich habe erst das Feedback meines Freundes Thomas gebraucht um zu erkennen, dass alles Recht haben nichts wert ist, wenn ich mein Ziel damit nicht erreiche. Und was ist mein Ziel?
Es soll Frieden sein …
Wie kann Frieden gelingen wenn ich doch den Krieg suche? Wenn ich – weil ich Recht habe – den Menschen (zumindest finanzielles) „Leid“ zufügen will? Wenn ich es doch darf? Vielleicht sogar soll? Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. (Matthäus 5:39)
Christ zu sein heißt vergeben zu können – heißt Vorbild zu sein – heißt zu Lieben da wo innerlich der Hass aus dir schreit. Heißt barmherzig zu sein. Mit dem Nächsten wie
… mit mir selbst.
Und wie setze ich diese simple und doch so komplizierte Erkenntnis im echten Leben da draußen um?
Es ist das nette Wort zu denen die in dieser schwierigen Situation Verantwortung tragen, die gemeinsam mit mir an einem Strang ziehen. Es ist die Anerkennung des Andersdenkenden auf das dieser erkennt, dass sein Anderssein die Grenze in meinem Anderssein hat. Es ist meine Haltung – nein zu sagen. Nein, gegen Gewalt. Nein, zu Hass. Wir müssen uns dabei nicht gemein machen. Aber wir müssen anerkennen das die Freiheit seine Freiheit ist. Meine Freiheit bleibt immer solang meine Freiheit bis ich damit die Freiheit des Anderen einschränke. Auch wenn ich ihn am liebsten brennen sehen möchte. Diese Freiheit kann durch Gesetze begrenzt und eingeschränkt werden. Doch bleibt auch die daraus resultierende faktische Minderheit in ihren unverstößlichen Menschenrechten als Minderheit geschützt.
Wenn wir eine Demokratie bleiben wollen braucht es die Anerkennung des Andersdenkenden. Hier kann die christliche Haltung der Barmherzigkeit gerade jetzt im Advent eine helfende Hand sein. Damit nicht nur Frieden in unseren Herzen entstehen kann. Sondern auch Frieden zwischen den Menschen. Konzentrieren wir uns also nicht auf das Trennende, sondern auf das was uns verbindet. Und geben den Menschen die sich für das Gemeinwohl die Anerkennung die sie verdienen.