Seit ca. vier Jahren bin ich in verschiedenen Arbeitskreisen zur nachhaltigen Kommunalgestaltung in Bayern und Baden-Württemberg und sogar in Niedersachsen unterwegs. Durch die Ukrainekrise, den Arbeitskräftemangel, Corona und die Energiekrise sind nachhaltige transformative Gemeinden gerade besonders gefragt. Hierbei habe ich derzeit fast jede Woche eine Besuchergruppe aus Bayern und auch darüber hinaus in Furth die sich mit den Veränderungen bei uns auseinandersetzen wollen. Besonders wird von den Besucherinnen und Besuchern der vernetzte Ansatz unserer Gemeinde gelobt. Ich werde dabei immer wieder gefragt warum das bei uns so gut funktioniert (hat). Die Antwort auf die Frage ist ca. 90 min lang. Aus diesem Grund habe ich mir die Frage gestellt, auf welchen vereinfachenden Nenner die Antwort heruntergebrochen werden kann. Und tatsächlich wurde ich fündig.
Mit Mut und Offenheit für Veränderungen eine vorhandene Geschichte neu erzählen.
Es gibt jetzt die Möglichkeit diesen Satz hin und her zu überlegen und mir danach mitzuteilen, dass dies oder das fehlt und das da überhaupt alles zu selbstherrlich gedacht ist. ODER: Wir nehmen uns jetzt die Zeit und klären die Substantive dieses Satzes. Also …
In Furth werden alle zu entwickelnden Ideen immer im Zusammenhang mit dem Weg unserer Gemeinde bedacht und bewertet. Die Tatsache, dass wir die Dinge zusammen denken hat dabei zwei wesentliche Geburtshelfer.
Die Nachhaltigkeit
Bereits mein Amtsvorgänger Dieter Gewies legte den Grundstein für alle notwendigen ideellen Voraussetzungen in unserer Gemeinde. Auf denen können wir, die wir heute Verantwortung tragen, die Vereinbarkeit ökologischer, sozialer und ökonomischer Ziele in den Gleichklang bekommen. Dies hat weniger Relevanz bei der Frage wie man Aufgaben erfüllt und Projekte umsetzt (neud.: DOING) sondern vor allem bei der Frage WANN und WELCHE Projekte in welchem (neud.: SETTING) Referenzrahmen entstehen sollen und dürfen. Daraus ergibt sich eine, für der Wiederwahl ausgesetzte „Politiker“, unangenehme Situation. Denn die Arbeit muss dann getan werden bevor man etwas draußen sieht.
Das Storytelling
„Tu Gutes und Rede darüber“. Dieser Spruch von Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim ist so alt wie ich. Er kommt etwas chauvinistisch, arrogant und oberflächlich herüber. Und doch trifft er in unserer heutigen Zeit des digitalen Highspeed einfach nur auf eins – er stimmt! Damit man aber über etwas reden kann reicht es nicht zu sagen: ich habe ein betreutes Wohnen im Dorfzentrum. Sondern es ist relevant dieses WARUM in einen Rahmen zu kleiden und die Geschichte dazu zu erzählen. Menschen mögen Geschichten. Besonders wenn sie kontrovers, überraschend und spannend sind. Kurz: dann wenn eine Geschichte emotional ist wird zugehört – und verstanden.
Besonders der zweite Punkt spielt erst in den letzten Jahren des social media eine neue hervorgehobene Rolle. Bisher waren Radio, Zeitung und Fernsehen die maßgeblichen Kommunikatoren der vergangenen Zeit. Doch Internet UND virtuelle und echte Realität sind die Meinungsmacher von heute und morgen. Wenn also eine Gemeinde etwas erreichen will ist und bleibt es wichtig die Menschen dabei mitzunehmen. Und was ist wirksamer als ein Umstand des Stolzes auf das Eigene und das Geschaffene.
Es ist eben ein großer Unterschied ob man sagt: wir bauen eine Brauerei, weil Bier immer in Bayern getrunken wird. Oder ob man sagt: wir haben eine 400jährige Biertradition die im niederbayerischen Dreieck von Landshut bis Mainburg und Rottenburg im Mittelalter einen klingenden Namen hatte. Als Tor zur Holledau wollen wir dem Further Bier wieder eine Heimat geben. Denn im Jahre 1621 … (fade out). Wir leben in einer Zeit in der Orientierung und Sortierung dringlichster Wunsch der Menschen ist. Geschichte und Geschichten machen diese Orientierung möglich. Sie geben halt und zeigen den Beteiligten, dass Generationen davor die gleiche Idee gedacht und umgesetzt wurde. Es kommt eben keiner darauf ein Bootsmuseum in Niederbayern zu errichten. Denn abgesehen von der Donau fahren nicht viele Boote in der Region.
Die Geschichten der Region sind alle schon da. Sei es die Hafner-Kultur (Keramik), die Kelten und der Wein, der Hopfen und das Bier, die mittelalterliche Musik, Kunst und Spiel um eine der wichtigsten Städte Bayerns. Das tertiäre Hügelland und eben neuerdings die Automobilherstellung und damit die Mobilität. Aus diesen Themen springen die Geschichten jedes Weilers und jedes Dorfes förmlich heraus. Da tanzt der Zwiefache schon vor dem inneren geistigen Auge.
Jetzt braucht es nur noch die Verbindung der alten Geschichten mit dem Leben und Arbeiten und besonders mit der Freizeit der Menschen von heute und morgen. Denn neben den Interessen der Menschen und der Region stehen die Bedarfe, welche am besten hier vor Ort erfüllt werden.
Das sind die Zutaten für die Geschichte die erzählt wird. Nehmen wir ein Blatt Papier, den Stationenwanderweg, die mediale Aufbereitung, die Website und/oder die 3D-VR-Brille. Da mag nun wieder mancher kritisieren, dass gemischt digital-analoge Angebote gerade dem Menschen den Anreiz nimmt seine vier Wände zu verlassen und hinaus in das Leben, die gelebte Freundschaft, das Ehrenamt oder eben das Wirtshaus zu gehen. Doch das sehe ich anders. Ich kann mir die schönsten Bilder von Kroatien anschauen. Hochauflösende Videos sehen und mir Pelinkovac über Amazon Prime nach Hause bestellen. Doch die Sonne auf der Haut den Meerwasserwind in den Haaren und den Klang von Zikaden habe ich nur wenn ich da bin. Ich bin mir sicher, dass gerade gut gemachte virtuelle Angebote die Lust wecken, das Bier vor Ort mal zu probieren. Einen Abend mit dem „genius loci“ im Klostergarten ausklingen zu lassen. Ein Konzert in alten Mauern vor Ort zu erleben und etwas Neues über etwas Fremdes zu erfahren.
Unsere Aufgabe als Verantwortungsträger ist es diese DNA meiner Heimat zu entdecken und ans Licht zu holen. Es braucht dabei etwas Zeit, denn manchmal liegt der Rohdiamant inzwischen über einer dicken Staubschicht des Revolutionierens und Aufbegehrens. Oder um es hart zu formulieren unter der Schicht der Fehler der jüngeren Vergangenheit oder auch der äußeren Einflüsse eines größeren nicht mehr koordinierbaren Rahmens. Doch wenn er einmal ans Licht kommt treffen seine Strahlen viele Menschen. Heimat kann auch für Fremde zur Heimat werden und wir dürfen Bürger, Partner und Räte darüber begeistern und vielleicht eine alte Geschichte neu interpretieren und erzählen.
In den folgenden Geschichten unter dieser Überschrift „Transformation – eine Chance?“ möchte ich erlebtes und erlerntes aus täglicher Arbeit, regionalen und überregionalen Gesprächen und aus eigener Erkenntnis teilen. In gewissem Umfang auch dafür, dass daraus ein Ideenspeicher entstehen kann.