Diese Geschichte ist Roland Schmidt aus der Katharinenstraße 77 in Eisenach gewidmet (geb. 15. Januar 1945 – gest. 07. Mai 2023). Auf dem Bild von links: Peter Horsche, Andreas Horsche, Horst Balkau, Roland Schmidt
Der Heilige Abend verlief in unserer Familie schon seit vielen Jahren gleich. Am Morgen ging es zur Probe in die Georgenkirche und nach dem Mittagessen erst zur Uroma und dann zum ehemaligen Posaunenlehrer Hein Janotte. Nach der Aufführung der Christvesper wartete die Bescherung. Seit 1994 gab es zusätzlich noch in der Nacht einen Einsatz des Posaunenchors in der Christmette an der Annenkirche. Das war immer ein schöner Abschluss des Heiligen Abends. Gingen doch nur die Hardliner unter den Evangelischen nochmal los.
Auch die Posaunenchorbesetzung war immer recht überschaubar. Schließlich ist der Heilige Abend voll mit den verschiedensten Einsätzen. Für meinen Vater und mich war es ein kurzer Weg. Den Steinweg herunter quer über den Schlossbergplatz entlang von Kreuzkirche und altem Friedhof über das Roesische Hölzchen zur Annenkirche.
Am Heiligen Abend 1996 traten wir wie gewohnt um 21.30 Uhr vor dir Tür und fielen beinahe hin. Es hatte Blitzeis gegeben. Beflissen wie wir waren tasteten wir uns trotzdem ganz langsam den Steinweg hinab. In Höhe der Kreuzkirche wurde es so glatt, dass es nicht weiter ging. Die Stadt war wie ausgestorben. Wir überlegten, ob überhaupt jemand bei der Glätte um die Uhrzeit in die Kirche gehen würde. Sei es drum: „Dienst ist Dienst!“ sagte mein Vater und wir „ritten“ auf den Posaunenkästen den holprigen Berg hinunter. Angekommen in der Annenkirche waren tatsächlich außer uns noch Roland Schmidt, Horst Balkau und zwei weitere Trompeter da. Sie hatten sich schon rechtzeitig auf den Weg gemacht und waren so vor dem Blitzeis eingetroffen. Roland wohnte zudem nur wenige ebene Meter neben der Kirche in der Katharinenstraße. So waren wir einigermaßen spielfähig. Roland und ich im Bass. Wer jedoch nicht kam, war der eingeplante Kantor Wolfgang Platzdasch. Es war schnell klar, dass alle Lieder und alle Musik vom Posaunenchor kommen musste. Ich witterte meine Chance. Ich fragte, ob ich orgeln dürfte, was in Anbetracht der Lage ausnahmsweise erlaubt wurde. Denn eigentlich sah man es nicht gern, wenn einer sein Metier verließ und sich exponierte. Es war nicht schwer. Zum Abendmahl improvisierte ich ein wenig und Stille Nacht, heilige Nacht geht auf der Orgel eigentlich immer. Roland lobte mich, was er sonst eher vermied. Ich war so stolz, dass ich fragte: „Und? Hast du da auch ein Geschenk für mich?“ Darauf antwortete Roland: „Du verdienst nen Knüppel!“ und war damit wieder in der alten Rolle bei der wir uns immer recht gegenseitig „aufschossen“. Natürlich war das spaßig gemeint und uns beiden war das klar.
Da so ein Blitzeisereignis mit Orgelspiel in Erinnerung bleibt nahm ich in Zukunft Roland in Erinnerung des Blitzeises immer wieder auf den Arm und erkundigte mich nach dem Verbleib meines mir zustehenden Knüppels. Er hat natürlich das Ganze nur im Spaß gesagt und war dadurch jedes Jahr am Heiligen Abend aufs Neue überrascht, wenn ich ihn mit der Frage empfing: „Und Roland? Wo ist nun mein Knüppel?“ Schließlich kannten wir uns, denn auch unter den Jahren spielten wir oft nebeneinander im Bass des Eisenacher Posaunenchores.
Roland hat mich auch sonst oft mit seinem blauen Passat abgeholt, wenn es auf weiter entfernte Einsätze ging. In 2002 begleitete er mich sogar in die Niederlande, da ich mir dort ein Auto gekauft hatte und es abholen musste. 2003 spielte er mit auf meiner Hochzeit und als ich 2008 nach Schatzhofen zog war es so weit. Er schenkte mir zum Einzug endlich den Knüppel. 2008 war auch das letzte Mal, dass ich in Eisenach am Heiligen Abend mitspielte. Und es war auch ein letztes Mal, dass ich Roland sah. Seit 2008 hängt der Knüppel aus Birkenholz, welchen er extra von einer Schwedenreise des Posaunenchors für mich mitgebracht hat, in unserer Garage. Heute habe ich ihn für das Foto einmal ans Licht geholt und sage Danke. Danke für die Zeit mit dir und deine Unterstützung in einer nicht einfachen Phase meines Lebens von 1994 bis 2008. Du hast nie geheiratet und hattest keine Kinder. Ich weiß, manchmal war ich dein Kind, das man erziehen musste. Danke für deine Freundschaft.
Ruhe in Frieden!